Der öffentliche Nahverkehr (1)

Es ist 18.00 Uhr, an einem Mittwoch im Februar 2011. Vor vier Tagen in der Stadt angekommen, sind schon meine Qualitäten als Stadtführerin gefragt: Mit einer Besucherin aus Deutschland stehe ich an der Station Hebraica-Rebouças der CPTM (Companhia Paulista de Trens Metropolitanos), an der türkisfarbenen Linie 9, die den wohlklingenden Namen Esmeralda trägt.

Einmal zuvor war ich bereits mit dieser Bahn gefahren und war überrascht, denn ich war vor der Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel in der Stadt gewarnt worden. Die seien schmutzig und vor allem gefährlich. Meine Wahrnehmung war eine gänzlich andere: Ich genoss die klimatisierten Züge, in denen mitnichten nur finstere Gestalten saßen.

 

Was geschah nun an diesem frühen Abend eines warmen Februartages? Voll war es auf dem Bahnsteig. Gefühlte Millionen von Fahrgästen drängten in die ohnehin schon vollen Waggons. Kräfte der Polícia Militar waren damit beschäftigt, ein möglichst problemloses Ein- und Aussteigen zu gewährleisten. Sicherheitskräfte im öffentlichen Nahverkehr kennt man auch in Deutschland, doch gehören diese in der Regel privaten Sicherheitsdiensten an.

 

Todesmutig stützten wir uns nun ins Getümmel, denn wenig später stand ein Abendessen auf dem Programm, zu dem wir pünktlich erscheinen wollten. Wir ließen uns treiben. Ich war zuversichtlich und beruhigte meine Begleiterin, dass wir sicher und rechtzeitig an unser Ziel gelangen würden. Körper an Körper standen wir nahezu eingekeilt in der Mitte des Waggons. An jeder Station stiegen mehr Menschen zu.

 

Ehe wir uns versahen, waren wir an der Estação Berrini angelangt. Nichts bewegte sich, bis weitere Passagiere hineindrängten. Wie nun herauskommen aus der Bahn? Weder meine Begleiterin, noch ich waren der Sprache mächtig. Wir schauten uns an.

 

Mit sich nahezu überschlagender Stimme rief meine Begleiterin schließlich „Desculpa, desculpa“ und drängte in Richtung Tür. Ein Lachen breitete sich aus. Und das große Herz der Brasilianer siegte: Mit vereinten Kräften schoben uns die Mitreisenden aus dem Zug, den wir glücklich und erschöpft verließen.

 

Ein echter Anfängerfehler: Während der Rushhour sollte der flexible Fahrgast die Bahn meiden, denn allein die CPTM transportiert auf ihren sechs Linien mit 93 Stationen täglich schätzungsweise zwei Millionen Fahrgäste auf ihrem 261,9 Kilometer langen Netz und die meisten von ihnen naturgemäß eben genau dann.