“Veja” und mehr: Unser Vorstoß in die brasilianische Medienwelt

„Wusstest Du, dass U2 in der Stadt war“, fragte mich mein Mann eines Abends. Drei Tage, am 09., 10. und 13. April, hatte diese großartige Band im Estádio do Morumbi gespielt und wir erfuhren dies kurz nach ihrem letzten Auftritt.

Wen wundert es, denn die einzigen Medien, die wir zu diesem Zeitpunkt nutzten, waren das gerade gestartete “Time Out São Paulo”, ein englischsprachiges Stadtmagazin, das ich aus New York kannte und sehr schätzte und „Deutsche Welle TV“, dessen Sendungen uns zwar über die neusten Entwicklungen in Deutschland informierten, nicht aber über unsere unmittelbare Umgebung.

 

Da “Time Out São Paulo” noch in den Kinderschuhen steckte und die Distribution eben noch nicht wirklich funktionierte, war das monatlich erscheinende Magazin nie vor dem 20. eines Monats verfügbar, wenn es denn überhaupt an den Kiosken der Stadt gehandelt wurde.

 

Als hätte meine Sprachlehrerin unser Informationsdefizit erahnt, schlug sie eines Tages die Tageszeitung auf und ging mit mir die Konzertankündigungen durch. Ich erzählte ihr von “Time Out São Paulo”, berichtete über die Beschaffungsschwierigkeiten und pries den „Tip“, eines von zwei höchst informativen Berliner Stadtmagazinen.

Ein Magazin dieser Art, “Veja” genannt, gäbe es auch in Brasilien, erklärte sie, jeweils mit Regionalausgaben für Rio und São Paulo und überließ mir die Regionalausgabe vom 10. August, die mit “Cadeia para gringos” (Gefängnis für Gringos) titelte.

 

Kaum war die Stunde beendet, begann ich mit der Lektüre meiner ersten Ausgabe von “Veja São Paulo”, von den Paulista als “Vejinha”, kleines Veja, bezeichnet. 1.443 Häftlinge aus 89 Nationen, so las ich, sitzen derzeit im Gefängnis “Cabo PM Marcelo Pires da Silva“ in Itaí, knapp 300 Kilometer von São Paulo entfernt, ein.

Vom eigentlichen Aufmachertext verstand ich nicht viel. Hilfreich waren die Infokästen mit Fotos, die die Geschichten eines Bolivianers, zweier Afrikaner, eines Spaniers, eines Portugiesen, eines Franzosen und zweier Osteuropäer umrissen, allesamt durch Drogendelikte inhaftiert.

 

Weitere zwei Wochen gingen ins Land, bis ich unser erstes “Veja”, was „Schau her!“ bedeutet, kaufte. Aufregend war dieser erste Kauf, denn ich wollte sicherstellen, dass ich das Hauptmagazin und die Regionalausgabe São Paulo erhielt. Glücklich erschien ich mit frischen Brötchen und den beiden Ausgaben schließlich am Frühstückstisch. Ein Ritual war geboren.

 

Seither beginnen wir jeden Samstag mit “Veja” und “Vejinha” und studieren die Politik, Wirtschaft und Kultur des Landes und der Stadt, in der wir leben- mal mehr und mal weniger erfolgreich, denn das führende Wochenmagazin, das aktuell in einer Auflage von 1.107.050 Exemplaren erscheint, ist nicht ohne Anspruch.

 

Kürzlich haben wir unser mediales Spektrum wieder erweitert, auf Anregung einer Deutschen, deren exzellentes, durch das brasilianische Fernsehen erworbene Portugiesisch uns während unseres Aufenthalts in Bahia beeindruckte und motiviert durch Norica, die deutschstämmige Ehefrau eines Kollegen meines Mannes, die mir während eines Churrascos, eines Grillfestes, glaubhaft darlegte, dass das “Jornal Nacional”, die nationalen Abendnachrichten, und die anschließende Telenovela für den Spracherwerb äußerst hilfreich wären.

 

Von gelegentlichen Fußballspielen, die unseren Wortschatz um das Wort “falta” (Foul) erweitert hatten und der von meiner Sprachlehrerin empfohlenen “Ana Maria Braga”-Show, einer Mischform aus den US-Formaten “Oprah Winfrey Show” und “The View” oder deutschen Infotainment-Shows wie „Brisant“ oder „Hallo Deutschland“, die ich zwei Mal allerdings nicht länger als die Hälfte der Sendezeit ertrug, war unser seltener Fernsehkonsum bislang auf den benannte deutschsprachigen Kanal und meinerseits zusätzlich auf US-Krimiserien wie “Law & Order New York” oder “Law & Order SVU” beschränkt.

 

Am 31. Oktober saßen wir schließlich pünktlich um 20.30 Uhr vor dem Fernseher und vertieften uns voll konzentriert in unser erstes “Jornal Nacional”, das uns aufgrund unsere noch eingeschränkten Sprachkenntnisse sehr forderte.

 

Eine Schwierigkeitsstufe höher war und ist “Fina Estampa”, die folgende Telenovela, die seit dem 22. August 2011 auf Sendung ist. Doch dieses TV-Erlebnis, das mit keinem deutschen oder US-amerikanischen TV-Format vergleichbar ist, hat eine eigene Kolumne verdient.