200.000 Einwanderer leben in der Megacity São Paulo. Die Stadt zeichne sich, laut einer Publikation der Prefeitura, der Stadtverwaltung, durch mit die größte ethnische Vielfalt weltweit aus. Hier habe sich die größte Population an Japanern, Spaniern, Portugiesen und Libanesen außerhalb des eigenen Heimatlandes angesiedelt.
Im Staat São Paulo lebten 700.000 Nicht-Brasilianer, insgesamt sieben Prozent der Gesamteinwanderer Brasiliens.
Dementsprechend bietet São Paulo eine ungeheure kulinarische Vielfalt. Es gibt kaum ein importiertes Produkt - möge es noch so exotisch sein - das hier nicht angeboten würde, um den zahllosen Arbeitsnomaden aus aller Herren Ländern ihren Aufenthalt in der Megacity so angenehm wie möglich zu gestalten.
São Paulo ist in der Tat eine Stadt der Arbeit und keine subtropische Touristenmetropole: Hier werden zwölf Prozent des Bruttoinlandprodukts erwirtschaftet. Die Paulistanos, die Einwohner von São Paulo, gelten als “mais introvertido, mais fechado”, als sehr introvertiert und verschlossen. Es heißt “o trabalho é uma preocupação constante” – die Arbeit würde sie konstant beschäftigen.
Klassische Touristen gibt es wenige in dieser facettenreichen Megacity. Gerade einmal 21.043 internationale Touristen besuchten die Stadt von Januar bis September 2011. Im Vergleichszeitraum konnte Berlin 710.100 Touristen aus dem nicht-europäischen Ausland und 2.007.843 europäische Besucher begrüßen.
Dafür blüht in São Paulo der Geschäftstourismus: Die Stadt konzentriert 75 Prozent des brasilianischen Messemarktes und generiert daraus mehr als R$ 4 Billionen. São Paulo steht auf dem zwölften Rang der Messe-Destinationen weltweit. Alle sechs Minuten findet hier eine Veranstaltung statt, eine Messe wird durchschnittlich alle drei Tage veranstaltet.
Dass die Stadt überdurchschnittlich viele Geschäftsleute anzieht, ist den Tourismusverantwortlichen bewusst. Eigens für diese Zielgruppe wurde ein Programm entwickelt, das unter dem Namen São Paulo Stay Another Day neun interessante Touren vorschlägt. “Easy, functional and delightful!” sollen die sein, ist zu lesen. Das wäre schön, denn insgesamt macht es die Stadt Neu-Paulistanos und Touristen nicht leicht, denn eine funktionierende touristische Infrastruktur sucht der Besucher vergeblich.
Stehen nun Einwanderer, Expats, Privat- oder Geschäftstouristen vor einer Reise oder der Rückkehr in ihr Ursprungsland werden sie sich schwer tun, die Erinnerungen durch Souvenirs lebendig zu halten oder den Daheimgebliebenen ein Geschenk zu machen, das sichtbar aus São Paulo stammt. Leichter ist es beispielsweise, eine gluten- und laktosefreie, vegane Waldpilzsuppe von Schneekoppe oder eine Dose mit feinstem original indischem Curry zu erwerben.
Das Pendant zum weltbekannten I love NY wird man vergeblich suchen, denn die Megacity scheint sich ihrer selbst nicht bewusst zu sein oder gibt sich bescheiden. Es gibt ein paar wenige São Paulo-Shirts, doch man muss gezielt und lange nach ihnen suchen (Geschäfte: Arte Na Rua oder Trilha Mix).
New York ist ein gutes Stichwort, denn die internationale, ebenfalls von Einwanderern geprägte Metropole am Hudson River treibt die Paulistanos sehr um. Man spürt scheinbar eine innere Verbindung zu der Stadt, die immer noch mit dem Mythos “if I can make there, I’m gonna make it anywhere” behaftet ist, denn die hart arbeitenden Paulistanos erhoffen sich anscheinend das gleiche von ihrer Stadt.
Nicht, dass ich diese Begeisterung nicht nachvollziehen könnte, denn ich liebe New York. Doch diese wundervolle Metropole wird hier geradezu verherrlich. So findet man unzählige Reiseführer, Bildbände, Kalender in allen Formaten zu der Stadt, die, wie São Paulo, niemals schläft.
Vergleichbare Artikel aus São Paulo gibt es allerdings fast nicht. „Über São Paulo haben wir nur ein paar Bildbände mit eher trostlosen schwarz-weiß-Fotografien“, erklärte Christian, der mich in der Livraria Cultura, einer großartigen Buchhandlung, bei meiner Suche nach Erinnerungsträchtigem beriet.
Auch Literatur zu finden, deren Handlung in São Paulo angesiedelt ist, stellt sich als Herausforderung dar. Viele engagierte Buchhändlerinnen und Buchhändler haben sich redlich gemüht. Insgesamt drei Titel habe ich nach langer Suche gefunden. Immerhin. Ein Anfang!
São Paulo sollte in der Tat von New York lernen, denn keine Stadt in dieser Welt hat die eigene Marke so perfekt emotionalisiert, wie sie. Die subtropische Megacity besitzt ein ungeheures Potential, ohne sich der damit verbundenen Möglichkeiten in der Gänze bewusst zu sein. Ganz nach dem Motto „Bescheidenheit ist eine Zier, doch besser lebt man ohne ihr“, gilt es, Bilder zu kreieren, Greifbares zu schaffen. Das kommt an, wie die São Paulo-Gemälde einer Deutschen, die, so wurde mir berichtet, kaum so viel malen kann, wie sie verkaufen könnte.
Die 11-Millionen-Stadt sollte Einwanderer wie Touristen emotional „abholen“ und nicht mit dem Bus vom Flughafen ins Hotel, zum Veranstaltungsort und wieder zum Flughafen shuttlen, wie zur Formel 1 zahlreich zu beobachten war. Und dies am besten vor den anstehenden Großereignissen, der Fußballweltmeisterschaft und den Olympischen Spielen, denn eine so perfekte Gelegenheit wird sich so schnell nicht wieder bieten.