„Wir gehen zu einen deutschsprachigen Kinderarzt“, berichtete eine Freundin, nachdem ich ihr von meinem ersten eher unerfreulichen Arztbesuch in der Megacity erzählt hatte. „Dieser Arzt behandelt auch Erwachsene. Ich war selbst schon dort und kann gern einen Termin für Dich vereinbaren“, erklärte sie weiter. Zum Kinderarzt solle ich gehen?
„Klar, Dr. Karl ist ein großartiger Mediziner, er spricht Deutsch und versorgt wirklich viele erwachsene Patienten“. Ich zierte mich ein wenig, denn es mutete mir schon etwas sonderbar an, mich bei einem Kinderarzt vorzustellen.
Je mehr ich allerdings darüber nachdachte, umso attraktiver erschien mir der Vorschlag. Ein renommierter Arzt, mit dem ich mich in meiner Sprache austauschen kann – beides Aspekte, die für eine außergewöhnliche Arztwahl sprechen. Ich kann wieder allein zum Arzt gehen, ohne übersetzende Freundinnen. Noch dazu zu einem, dessen fachliche Qualitäten hoch gelobt werden.
„Ich habe die Kontaktdaten dabei und kann gleich dort anrufen, wenn Du das möchtest“, erklärte die Freundin ganz pragmatisch. Also gut, auf einen Versuch sollte ich es ankommen lassen. Sekunden später war der Termin vereinbart, mit Carmen, der Sprechstundenhilfe, mit der sich meine Freundin zu meiner Erleichterung ebenfalls auf Deutsch verständigte. Nun müsste ich nur die Anmeldung im Ärztehaus selbst bewältigen.
Am darauffolgenden Montag war es schließlich soweit. Ich stand an der Anmeldung, ohne Kind an meiner Seite, und erklärte, dass ich einen Termin bei Dr. Karl habe. Routiniert und ohne jede Irritation erledigte die Rezeptionistin die Formalitäten, kündigte mich an und überreichte mir einen Besucherausweis. Die erste Hürde war genommen.
Unfassbar, schoss es mir auf dem Weg in die Praxis durch den Kopf, dass ich mit 43 Jahren zum Kinderarzt gehe. Amüsiert trat ich ein und stellte mich bei Carmen vor, die es keinesfalls sonderbar zu finden schien, eine Akte für eine Erwachsene anzulegen. Mein Blick streifte durch Räumlichkeiten. Ein gut sortiertes Spielzeugangebot für alle (kindlichen) Altersstufen inklusive zweier Schaukelpferde prägte das Bild. Auf einem Bildschirm lief eine Zeichentrickserie. Eine absurde Situation. Und doch fühlte ich mich sofort wohl zwischen den Mütter und deren Kindern, die mich neugierig ansahen und sich vermutlich die Frage stellten, wo ich denn mein Kind gelassen hatte.
Dr. Karl begrüßte mich mit dem Wai, einer traditionell thailändischen Grußhandlung, mit aneinander gelegten, den eigenen Oberkörper berührenden Handflächen. Seine zurückhaltende, asiatisch anmutende Höflichkeit kam mir entgegen – in Brasilien, dem Land der abraços und beijos, der Umarmungen und Begrüßungsküsse.
Beeindruckt haben mich die gründliche Anamnese und die exzellente klinische Untersuchung, berührt hat mich, dass für Sekundenbruchteile immer wieder der sensible, empathische Kinderarzt durchschien.
Im Rahmen dieses ersten jährlichen Check-ups verordnete Dr. Karl einige Untersuchungen im Labor Fleury im eigenen Haus, nicht zuletzt auch, um die absurde Diagnose des vorbehandelnden Arztes auszuräumen. Carmen wäre mir gern bei der Terminvereinbarung mit dem Labor behilflich. Wenn die Ergebnisse vorlägen, würden wir diese im Detail besprechen und falls irgendetwas sei, könne ich ihn jederzeit gern auch über sein Mobiltelefon anrufen. Was für ein Kontrapunkt zu meiner erster Arzterfahrung nur wenige Wochen zuvor.
Nicht, dass Carmen einfach nur bei Fleury angerufen hätte. Nein, die engagierte Deutschbrasilianerin machte sich mit mir auf den Weg dorthin. Nachdem wir über einen Hintereingang das drei Stockwerke entfernte Labor erreicht hatten, leitete sie die Erfassung meiner Daten und die Terminierung der Tests in die Wege. Was für ein Service.
Vor einigen Wochen war ich schließlich mit meinem Mann, den eine unangenehme Erkältung mit Atemwegsbeschwerden ereilt hatte, bei Dr. Karl. Ich war froh, meinem Mann überzeugt zu haben, sich dort vorzustellen, denn mein Mann hat ein eher gespaltenes Verhältnis zu Ärzten. Ein gewisses Unwohlsein war ihm dennoch anzumerken. Dies blieb auch Carmen nicht verborgen, die daraufhin einen interessanten „Kinderarzt-Helferinnen-Trick“ anwandte: „Wenn Sie brav sind und nicht weinen, bekommen Sie nach der Untersuchung ein Bonbon.“ Damit war der Arztbesuch schon vor der Untersuchung ein Erfolg, denn mein Mann lachte, trotz starker Symptome, herzlich.