Hochzeiten (2) – Ganz wie in Hollywood

Noch zehn Minuten. Wenn nicht ein Wunder geschehen würde, würde ich meine erste brasilianische Hochzeit versäumen. Zumindest die kirchlich Trauung, die um 18.30 Uhr in der Paróquia Nossa Senhora Mãe do Salvador, unter den Paulistanos als Cruz Torta bekannt, beginnen sollte.

„Wenn der Kollege jetzt käme, hätten wir noch eine Chance“, meinte meine Freundin, „zehn Minuten brauchen wir laut Google Maps für die knapp neun Kilometer lange Strecke“, berichtete sie. Ich hatte meine Zweifel, doch die ließ ich mir nicht anmerken, auch nicht, als sie erklärte, dass brasilianische Hochzeiten häufig nicht pünktlich beginnen. „Du hast sicher recht“, entgegnete ich vermeintlich zuversichtlich, denn auch meine Freundin, eine Brasilianerin, die zwanzig Jahre lang in Deutschland gelebt hatte, wurde von Minute zu Minute unruhiger.

 

Während wir uns auf brasilianische Weise gegenseitig beruhigten, hielt ihr 14jähriger Sohn nach dem Auto des Kollegen Ausschau. „Mama, da kommt er“, rief der bei jedem dritten SUV aus, ohne dass das von uns herbeigesehnte Fahrzeug darunter gewesen wäre.

 

Um 18.25 Uhr entschied sich Cristina schließlich dazu, den Kollegen anzurufen, um herauszufinden, wann mit ihm zu rechnen sei. „Ihr könnt runterkommen“, sagte der brasilianische Kollege ruhig, „ich bin quasi schon vor der Haustür“, erklärte er weiter. Da standen wir bereits und warten weitere fünf Minuten, bis der riesige und vor allem hohe Pick-up-Truck vor uns hielt.

 

Nun aber schnell, denn die Uhr zeigte inzwischen 18.30 Uhr. Doch wie sollte ich mit meinem engen Rock nur dieses Gefährt besteigen. Sekundeschnell waren Cristina und ihr Sohn eingestiegen. Kurzerhand raffte ich meinen Rock und tat es ihnen nach, glücklicherweise ohne das zarte Material zu zerreißen. Ich hätte mir Zeit lassen können, denn nun widmete sich der Kollege, zusammen mit seiner Frau, die in diesem Moment die Einladung aus ihrer Tasche zog, seelenruhig dem Navigationssystem. Während beide mit der Adresseingabe beschäftigt waren, klingelte das Mobiltelefon des Kollegen. Auch das noch! Wir würden noch mehr Zeit verlieren, würden die Zeremonie verpassen. An dieser traurigen Tatsache bestand für mich mittlerweile kein Zweifel mehr.

 

Doch plötzlich keimte Hoffnung auf, denn am Telefon war eine Kollegin, die bereits vor der Kirche stand. Wir hätten alle Zeit der Welt, fasste unserer Fahrer das Telefonat zusammen. Gerade jetzt erst würde die zuvor angesetzte Hochzeit beginnen. “Graças a Deus”, „Gott sei Dank“, wie der Brasilianer sagt.

 

Selbst Kirchen haben in Brasilien einen Manobrista-Service, einen Park-Dienst, der in diesem speziellen Fall aus vier Männern bestand, die uns die Türen aufhielten und den Schlüssel entgegennahmen, um das Auto anschließend zu parken.

 

Nachdem es mir mit etwas Mühe gelungen war, halbwegs elegant aus dem Pick-up-Truck zu gleiten, schweifte mein Blick umher. Ich sah atemberaubende Abendroben, elegante und stylische Cocktailkleider, romantische und edle Frisuren, als plötzlich die Gäste der vorangegangenen Hochzeit die Kirche verließen und wir an der Reihe waren.

 

Begleitet von Evergreens der Filmmusik betraten wir die eindrucksvoll dekorierte Cruz Torta, die Kirche, deren Namen mich automatisch Torten denken ließ. Doch weit gefehlt, denn ihr Spitzname bezieht sich auf die postmodernen Kreuze im Innenraum und bedeutet wörtlich übersetzt schiefes Kreuz.

 

Nachdem die Hochzeitsgäste ihre Plätze eingenommen hatten, stieg der Rührungsfaktor ein erstes Mal an diesem Abend, denn je vier Paare, die Madrinhas und Padrinhos, die weniger mit den deutschen Trauzeugen als vielmehr mit ihrem US-amerikanischen Pendent, den Bridesmaids und den Groomsmen, vergleichbar sind, zogen feierlich ein, gefolgt vom der Mutter der Braut, die vom Vater des Bräutigams in die Kirche geführt wurde. Links des Altars gruppierten sich die Paare mit Bezug zur Braut, rechts die Zeugen des Bräutigams, der an der Seite seiner Mutter in die Kirche einzog.

 

Eine Weile verging, bis die Fanfare des Hochzeitsmarschs von Felix Mendelssohn-Bartholdy erklang und der große Moment gekommen war: Im verspielten Hochzeitskleid, mit einem Schleier schritt die Braut an der Seite ihres sichtlich gerührten Vaters auf den Bräutigam zu, der schließlich den zukünftigen Schwiegervater mit einem Händedruck begrüßte, seine Braut zart auf die Stirn küsste und ihr seinen linken Arm anbot.

 

Die kurze, berührende Zeremonie nahm ihren Lauf. Gefragt, ob sie den Bund der Ehe miteinander eingehen wollten, bejahte das Paar nicht einfach nur, sondern wiederholte die Worte des Priesters. Auch der Ring wurde nicht einfach so, sondern im Rahmen des von beiden langsam und deutlich vorgetragenen Eheversprechens übergeben, begleitet von ergreifenden Musikstücken, die auch die Glückwunschzeremonie im Altarraum prägten. Herzzerreißend umarmten Braut und Bräutigam erst die jeweils neue und schließlich die Ursprungsfamilie. Kein Hollywood-Film hätte besser inszeniert sein können. Daran erinnerte auch das Brautauto, das die Frischvermählten wenig später bestiegen – eine schwarze Chevrolet-Limousine aus den 50er Jahren.

 

Auch wir machten uns auf zum Espaço Afrikan House, einem Festsaal, in dem, wie in Brasilien üblich, die Hochzeitsfeier stattfinden sollte. In stimmungsvolles Licht getaucht, das Eingangstor, an dem wir auf den Einlass warteten, während die Namen von um die 300 Gästen mit der Gästeliste abgeglichen wurden.

 

Wir nahmen an Tisch 27 Platz. Es wurde gespeist und getanzt, nachdem die Hochzeitstorte angeschnitten und das überglücklich und ausgesprochen entspannt anmutende Brautpaar den Eröffnungstanz absolviert hatte.

 

Emotionale Szenen spielten sich ab, ganz real und auf dem Big Screen: Jeder einzelne Gast wurde von den frisch Vermählten geherzt und geküsst. Und jeder konnte in diese Liebesgeschichte eintauchen, in stimmungsvollen Bildern präsentiert auf einer zentral positionierten großen Leinwand. Ganz wie in Hollywood!