Wir plauderten über Brasilien, darüber, was uns, die wir beide aus Deutschland stammen, in das subtropische Land geführt hatte, als meine Gesprächspartnerin beiläufig einstreute, dass sie einmal gehört habe, dass mit Melitta Deutschland in Brasilien angekommen sei. Der Urheber dieses Satzes muss ein echter Fan der Filtertüten sein, dachte ich bei mir. Diese Position hätte ich anderen Traditionsunternehmen eingeräumt.
Doch der mir etwas eigentümlich erscheinenden (An-)Satz ging mir nicht aus dem Kopf. Ende der 1960er Jahre, so recherchierte ich schließlich, hatte sich Melitta als Anbieter eines Komplettsortiments von Produkten für die Kaffeezubereitung in Brasilien, dem größten kaffeproduzierenden Land der Welt, angesiedelt. Aus Unternehmenssicht eine naheliegende Entscheidung.
Mit dem 1908 beim Kaiserlichen Patentamt zu Berlin patentierten Papierfilter, so ist zu lesen, sei 1968 “uma ideia brilhante”, eine brillanten Erfindung, nach Brasilien gekommen, wo bis zu diesem Zeitpunkt sehr wenig erfunden worden sei, was mit diesem Produkt konkurrieren konnte. Offensichtlich hat Melitta, gemäß des wohl bekanntesten Slogans des Traditionsunternehmens, Kaffee auch in Brasilien, zum Genuss gemacht und – nicht zuletzt durch die vereinfachte Zubereitung – die Herzen der Brasilianer gewonnen.
Für Wirtschaftsexperten sei hinzugefügt, dass die Präsenz deutscher Unternehmen in den 1960er und 1970er Jahren insgesamt stark zugenommen hat. So waren 1964 von den zehn größten deutschen Unternehmen acht in Brasilien tätig, in den 70er Jahren hatten von den 100 größten Unternehmen 44 in größerem Umfang in Brasilien investiert. Ein Unternehmen dieser Zeit: Melitta.
Würde es meine Lieblingsprodukte in Brasilien geben? Bereits bevor ich meinem Mann dorthin folgte, trieb mich der Gedanke um, ob und welche davon wohl dort zu bekommen wären.
Während meines ersten Besuchs in der Megacity, knapp drei Monate vor meiner Übersiedlung, stellte ich erleichtert fest, dass die Parfümerien in den Shopping Centern im Hinblick auf die Verfügbarkeit internationaler Produkte keine Wünsche offen lassen. Allerdings währte meine Freude nicht lang, denn mein Lieblingsmascara, gerade einmal 6,5 Millimetern schwarzer Farbe, kostete sage und schreibe R$ 168,00, annähernd 74 Euro. Das französische Produkt war hier fast drei Mal teurer. Da wäre es wohl besser, Kosmetikprodukte auf Vorrat zu kaufen und sie in den zwei Mal 35 Kilogramm Freigepäck, die ich bei meiner Einreise hätte, zu verstauen.
Man könnte meinen, ich hätte im großen Stil Parfümerien und Drogerien ausgeraubt, amüsierte ich mich, als ich die Koffer vor meiner Reise in die neue Heimat schloss. Die Mengen würden sicher reichen, um in São Paulo eine Karriere im Kosmetikhandel zu starten. „Als gäbe es ausgerechnet in Brasilien, dem Land der Körperpflege, keine vergleichbaren Produkte“, kommentierte mein Mann, als ich die Koffer auspackte, konsterniert.
Eine Freundin zeigte deutlich mehr Verständnis. „Wenn wir aus Deutschland zurückkehren, ist das auch immer so“, erklärte sie, als ich ihr von meinem persönlichen Kosmetik-Import berichtete. „Du glaubst nicht, was wir schon alles ins Land gebracht haben. Das Spektrum reicht von der Kaffeemaschine bis zum Rasenmäher“, führte sie aus.
Um etwaigen Versorgungsengpässen vorzubeugen, begann ich nach einer Weile, das Angebot der Drogarias zu sondierten, was meinen Import zu legitimieren schien. Andere Länder, andere Sitten: Rasiergel für Frauen und spezielle Klingen sind hier nicht zu finden, denn in Brasilien depiliert Frau sich die Beine. Die Rasur ist den Männern vorbehalten.
Gesichtsreinigungstücher fand ich, wenn auch nicht die, die ich favorisiere, versteckt in den Regalen einiger Drogarias. Entzückt kaufte ich das importsteuerbelastete deutsche Konkurrenzprodukt, das leider völlig eingetrocknet war. Einige Wochen später wich ich auf ein brasilianisches Erzeugnis aus, was dafür sorgte, dass mir unaufhörlich die Augen tränten. Oder weinte ich meinem Produkt nach? Ich beschloss, meine hier nicht erhältlichen Lieblingsprodukte weiterhin zu importieren oder sie mir von Besuchern aus Deutschland mitbringen zu lassen.
Viele deutsche Lang- und Kurzzeit-Einwanderer, so weiß ich inzwischen, halten dies so, zum Teil mit interessanten Begründungen. So erzählte mir beispielsweise eine junge Frau, die erst wenige Monate zuvor in die Megacity gekommen war, dass sie Nutella und auch (Schweizer) Lindt-Schokolade, einführte, denn beide Schokoladenzubereitungen würden hier einfach anders schmecken. Ein Geschmacksunterschied sei mir bislang noch nicht aufgefallen, entgegnete ich, woraufhin sie mir die Durchführung einer Blindverkostung vorschlug. Sie sei sicher, dass das Originalprodukt den Test gewinnen würde.
Dieser wissenschaftlichen Methode habe ich mich bislang noch nicht bedient. Dafür aber immer wieder einmal deutscher Produkte, die in der Megacity an vielen Orten erhältlich sind.
Bis heute fasziniert mich das Angebot des edlen Traditionsgeschäfts Casa Santa Luzia. Stets führe ich São Paulo-Besucher durch den vom Portugiesen Daniel Lopes 1926 gegründeten Gourmettempel, zeige die bestimmt zwanzig verschiedenen deutschen Biere, die sündhaft teuren Käse aus aller Herren Länder, die Gläser mit Deutschländerwürstchen und die mit Roter Grütze, demonstriere die unterschiedlichen deutschen Brotsorten und ende mit den Süßigkeiten und den internationalen Produkten für Menschen mit Lebensmittelunverträglichkeiten und Ernährungseinschränkungen.
Auch den Mercado Municipal de Santo Amaro präsentiere ich gern mit seinen zahlreichen „deutschen“ Verkaufsboxen. Hier liegt die Toffifee-Schachtel neben der brasilianischen Lacta-Schokolade. Vom Aachener Zentis-Marzipan bis zur KNORR Delikatess Brühe aus Heilbronn ist hier eine bunte Mischung deutscher Lebensmittel zu finden.
Selbst die kleine Padaria, die Bäckerei, an der Ecke hat allerlei deutsche Köstlichkeiten zu bieten, wenn auch teils zu horrenden Preisen. Aber wen schert das schon, wenn die Sehnsucht einmal groß ist.