HOMBRE versus homem: Mehr als nur ein phonetischer Unterschied

„H-O-M-B-R-E – das sagt doch schon alles“, meinte mein Mann, kaum, dass wir in Buenos Aires angekommen waren. „Das Wort allein klingt so sonor, kraftvoll und stolz. Ganz anders als das gequetschte homem, das nach Sopran klingt“, führte er seine sprachwissenschaftlichen Ausführungen zum Substantiv Mann fort.


Selbst als wir an der Rezeption unseres Hotels erfuhren, dass wir diese Nacht in einem anderen Hotel untergebracht würden, da vorgeblich ein Wasserschaden aufgetreten sei und dieser erst behoben werden müsse, hielt sich die Begeisterung meines Mannes. Wir würden jetzt mit dem Taxi in das Partnerhotel gebracht und morgen dort wieder abgeholt, erklärte die souveräne Rezeptionistin sogleich.


Was für eine stolze, beeindruckende Frau, dachte ich bei mir, und erlag ebenfalls dem Vergleich. Die ersten Monate in Brasilien hatten wir im Hotel verbracht. Die dortigen Rezeptionistinnen und Rezeptionisten waren ausgesprochen bemüht und sehr nett, hatten aber nicht im Ansatz das Format, das uns an ihren argentinischen Berufskollegen begeisterte. Im Gegenteil: Sie und andere brasilianische Empfangsmitarbeiter, die wir im Verlauf der vergangenen drei Jahre im Rahmen unserer Reisen durch das Land erlebt hatten, kamen eher sanft daher. „Servil kann man das auch nennen“, erklärte mein Mann, als wir das Thema vertieften.


Nachdem wir eingecheckt hatten, ließen wir uns durch die Straßen von La Recoleta treiben. Wir waren überwältigt von der Schönheit und Eleganz, die sich uns präsentierte. Vor jedem zweiten Gebäude bleiben wir stehen und stellten uns vor, wie es wohl sein würde, dort zu leben. Kleine charmante Restaurants und mondäne Geschäfte bezauberten uns. Fasziniert blickten wir den Menschen nach, die ihrem Leben nachgingen, mit einer Mischung aus Nonchalance und Würde. „Findest Du nicht auch, dass alles hier an Europa erinnert“, brachte mein Mann schließlich auf, auf der Suche nach Erklärungen für unsere Faszination. Ja, auch für mich wurde Europa in den Straßen von Buenos Aires lebendig. Keine gestylten Barbies oder Miniaturwalküren in körperbetonten Kleidchen mit High Heels, auf denen sie das Gleichgewicht zu verlieren drohen, keine Männer im Business-Einheitslook bestehend aus hautengen Hemden und Polyesterhosen oder betont lässig in Shorts und Shirt mit dickem Chronographen am Handgelenk, sondern souveräne, stilsichere Frauen und Männer.


Immer wieder betraten wir einzelne Gebäude und betrachteten die eleganten Eingangshallen. „Keine geschlossene Wohnhäuser oder -komplexe, keine Eingangsschleusen“, stellte ich fest. Nur ab und zu sitzt einmal ein Pförtner da, der eher an einen Concierge, nicht aber an einen brasilianischen Porteiro oder gar an einen Mitarbeiter des Sicherheitsdiensts erinnert“. Obwohl diese Berufsgruppe nirgends zu sehen war, fühlten wir uns sicher in dieser Metropole, auch wenn ich gestehen muss, dass es eine Weile brauchte, bis ich mein São-Paulo-Radar herunterfuhr.


„Komm, lass uns zum Hotel zurücklaufen“, schlug mein Mann, der nicht gerade für einen ausgeprägten Orientierungssinn bekannt ist, nach einem exzellenten Essen an diesem ersten Abend vor. Ich zögerte, denn es war bereits lange dunkel und ich war, obwohl ich, so die weit verbreitete Meinung, über ein eingebautes Navigationssystem verfüge, noch nicht wirklich mit der Geographie der Stadt vertraut. „Also gut“, stimmte ich zu, „doch ich übernehme keine Garantie was den Weg betrifft“, erklärte ich. So schlenderten wir durch die auch in der Dunkelheit prächtig anmutenden Straßen. Nach wenigen Metern schaltete sich mein São-Paulo-Radar automatisch ab und ich genoss den ersten wirklich entspannten Abendspaziergang auf dem südamerikanischen Kontinent. Mein Mann sinnierte derweil über das Servicepersonal des Abends. „Auch die Kellner haben hier ein ganz anderes Auftreten als in Brasilien. Dort kriechen sie unter dem Teppich, hier begegnet man sich auf Augenhöhe“, stellte er fest.


Inzwischen waren wir an der Avenida 9 de Julio, der Hauptschlagader von Buenos Aires, angekommen. Dass wir die überqueren müssten, war klar, doch dann? Während wir an einer ruhigen Straßenecke den Stadtplan auffalteten, was mir in São Paulo nie in den Sinn kommen würde, trat der Nachtwächter eines Geschäftshauses auf den Bürgersteig und erklärte uns kurz und ohne Umschweife, wie wir am schnellsten zurück zum Hotel gelangen würden. Jedes Wort haben wir verstanden, obwohl wir keine Silbe Spanisch sprechen. Unser Portugiesischunterricht hat sich gelohnt und uns offensichtlich dazu befähigt, auch ähnliche Sprachen zumindest zu verstehen.


Was uns in Buenos Aires das europäische Gefühl bescherte, verstanden wir, während wir das Teatro Colón besichtigten. Praktisch alle verbauten Materialien stammten aus Europa. Marmor aus Italien, namentlich aus Verona und Carrara, aber auch aus Portugal sei zum Einsatz gekommen. Schwarzen Marmor habe man aus Belgien eingeschifft. Die Innenausstattung des prächtigsten Theater- und Opernhauses sei in Frankreich geordert worden. Das Haus, ja Buenos Aires, habe sich stets an Europa orientiert und sei dem Selbstverständnis nach die europäischste – im Subtext: kultivierteste – Metropole des Kontinents, sagte der Guide, der sich in diesem Moment als Opernsänger vorstellte, und, auf der Bühne angelangt, eine italienische Arie vortrug.